Menschheitsentwicklung überwindet Rassismus - zu einer aktuellen Reportage auf arte.tv über Rudolf Steiner
- Christoph Hueck
- 31. März
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Apr.

Kommentar zu einer Reportage auf arte.tv mit dem Titel „Geheimakte Rudolf Steiner - Anthroposoph, Okkultist, Influencer?“, die am 27. März ausgestrahlt wurde. Eine gekürzte Fassung, die durch einen anderen Sprecher weitaus polemischer wirkt, wurde bereits einige Tage vorher von ZDF TerraX auf YouTube veröffentlicht.
In beiden Beiträgen, die Rudolf Steiners Leben zu schildern versuchen, kommen neben den Anthroposophen Ueli Hurter, Constanza Kaliks, David Marc Hoffmann, Gary Lachman und Stefan Grosse vor allem die Steiner-Kritiker Helmut Zander (katholischer Religionshistoriker) und Ansgar Martins (Religionsphilosoph) ausführlich zu Wort. Während die Anthroposophen weitgehend konkrete Aspekte aus Steiners Leben beschreiben, urteilen und bewerten die Kritiker unhinterfragt und global. Sie kreieren ein Bild Rudolf Steiners als opportunistisch, autoritär, eigennützig, nationalistisch, reaktionär, antisemitisch und rassistisch. Außerdem wird der Beitrag von Kommentaren einer Online-Kommunikationsberaterin (Marlis Jahnke) durchzogen, die durch ihre eigene Brille in Steiner nur einen geschickten "Influencer" und Selbstvermarkter zu sehen vermag.
Martins arbeitet sich in recht oberflächlicher Art mit durchgängig negativen Auslassungen an Steiner ab (bis hin zu der abstrusen Behauptung, Waldorfschulen würden Kinder am Lesen und Schreiben hindern), während Zander seinen zentralen Angriff in vermeintlicher Abgeklärtheit und subtiler Überheblichkeit formuliert:
„Er [Steiner] ist der Meinung, dass die weiße Rasse - ich zitiere ... - 'die zukünftige, die am Geiste schaffende Rasse' sei. ... Ich wünschte mir sehr, dass Anthroposophinnen und Anthroposophen sich viel deutlicher davon distanzieren, als sie es bislang getan haben, nämlich anerkennen, dass es nicht um irgendwelche Sätze [einzelne Aussagen Steiners, Red.] geht, sondern um das Problem von Steiners Evolutionsdenken."
Was ist davon zu halten? Zander ist immerhin ein ausgezeichneter Kenner, der sich seit Jahrzehnten mit Rudolf Steiners Gesamtwerk beschäftigt.
Der von ihm zitierte Satz Steiners stammt aus einem Vortrag für die Arbeiter am Goetheanum vom März 1923.[1] Der Ausdruck „weiße Rasse“ kommt in Steiners gedrucktem Werk (über 100.000 Buchseiten in ca. 400 Bänden) 9 mal vor, 6 mal davon in dem erwähnten Vortrag und nur ein einziges Mal als angeblich „zukünftige“. Diesem einzigen Zitat stehen zahlreiche, klare und dezidierte Aussagen Steiners entgegen, in denen er jede Form von Rassismus sowie gegenwärtige oder zukünftige Bedeutung menschlicher Rassen kategorisch ablehnt. (Man könnte daher sogar fragen, ob der Satz aus dem Arbeitervortrag überhaupt korrekt mitstenographiert wurde; ein Fehler ist zumindest nicht auszuschließen.)
So schrieb Steiner 1903 als Vorsitzender der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland:
„Der oberste Grundsatz der Theosophischen Gesellschaft ist: ‚den Kern einer brüderlichen Gemeinschaft zu bilden, die sich über die ganze Menschheit, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der Gesellschaftsklasse, der Nationalität und des Geschlechts erstreckt.‘ Dies ist sogar der einzige Grundsatz, der für die Mitglieder dieser Gesellschaft als verbindlich betrachtet wird. Alle übrigen Bestrebungen sollen ja nur Mittel zu dem großen Ziele sein, das in dieser wesentlichen Forderung ausgesprochen wird."[2]
In einem Vortrag von 1905 heißt es:
„Das ist die große Errungenschaft ..., – einen Bruderbund ... über die ganze Erde hin, ohne Rücksicht auf Rasse, Geschlecht, Farbe und so weiter. Das ist die Anerkennung der Seele, die der ganzen Menschheit gemeinsam ist. Bis in die Leidenschaften hinein muss die Läuterung stattfinden, die es dem Menschen selbstverständlich macht, dass in seinem Bruder die gleiche Seele lebt. Im Physischen sind wir getrennt, im Seelischen sind wir eine Einheit als Ich des Menschengeschlechtes."[3]
Und 1912 bekräftigte er:
„Es ist jeder wirklichen Erkenntnis der Geisteswissenschaft zuwiderlaufend, wenn davon gesprochen würde, dass … es … in der Zukunft eine … führende Rasse geben würde … Eine solche Behauptung würde geradezu ins Gesicht schlagen einer jeglichen Erkenntnis des wirklichen Menschheitsfortschrittes, der darin besteht, daß das Innere, das Seelische immer mehr und mehr sich offenbart.“ ... „Heute schon sehen wir, wie ... die Kultur … sich über alle Rassen ausbreitet. Und die Geisteswissenschaft soll ja gerade dasjenige sein, was ohne Unterschied der Rassen und Stämme die Kultur über die ganze Erde trägt, insofern die Kultur Geisteskultur ist. … Und wenn Theosophie ihren guten alten Grundsätzen treu bleiben soll, so wird sie … gar nicht darauf verfallen können, eine Zukunftskultur zu erhoffen von einer einzelnen besonderen Rasse."[4]
Diese Aussagen können durch viele sinngemäß ähnliche ergänzt werden.[5]
Selbstverständlich kennt Zander auch diese Zitate, aber es geht ihm eben nicht um Sachlichkeit und schon gar nicht um Wahrheit, sondern um einen Fundamentalangriff auf Steiner und die Anthroposophie.
Evolution – „Entwickelung“ in Steiners Diktion – ist nämlich einer der zentralsten Begriffe der Anthroposophie, mit dem Rudolf Steiner nicht nur an Darwin, sondern an den Entwicklungsbegriff der Goethe-Zeit und des Deutschen Idealismus anknüpfte. Der Kosmos entwickelt sich, die Menschheit entwickelt sich, der einzelne Mensch ist in fortwährender Entwicklung. Gerade darin liegt der Sinn des Einzelnen und des Ganzen: Alles Kollektive und Gruppenhafte zu überwinden und sich zu immer größerer individueller Freiheit zur entwickeln, die dann zu immer tatkräftigerer Mitarbeit am Fortschritt des Ganzen genutzt werden kann. Dabei trägt jeder Einzelne auf seine Art zur Entwicklung bei. Die treibende Kraft ist nicht der mechanistische Zufall wie im Darwinismus, sondern der Geist, früher vor allem die geistigen Hierarchien, heute verstärkt der individuelle Geist jedes einzelnen Menschen. Sich aus allen kollektiven Zwängen zu befreien und aus eigenster, innerer Kraft selbst weiterzuentwickeln, um sich aus Freiheit mit dem Ganzen wieder zu verbinden, ist der Schulungsweg der Anthroposophie.
Wenn Zander behauptet:
„Der Schlüssel zu Steiners Rassentheorie liegt in seinem evolutionären Denken. Er glaubt, es gibt eine Entwicklung der Menschheit“ (55:55),
dann wird die Idee der Entwicklungsfähigkeit des Menschen und der Menschheit mit dem Rassismusvorwurf verknüpft und damit mit einer der stärksten heute zur Verfügung stehenden Verbalkeulen attackiert.
Für Steiner bedeutet jedoch die Entwicklung der Menschheit gerade die Überwindung jeglicher Form des Rassismus.
Es verhält sich also genau umgekehrt als von Zander behauptet! - Jemand, der so schwerwiegende Vorwürfe aufgrund einer so dünnen Beweislage erhebt und vielfältige Gegenbeweise ignoriert, ist schlicht unglaubwürdig.[6]
Letztlich können daher die beiden TV-Reportagen – trotz aller Bemühung – nichts Handgreifliches gegen Rudolf Steiner präsentieren. Im Gegenteil: auch für sie sind seine große persönliche Beliebtheit und seine langfristig nachhaltigen Erfolge nicht zu verleugnen. Hier versucht also der Zeitgeist wieder einmal, Rudolf Steiner zu verzwergen, scheitert dabei jedoch an seinen eigenen Projektionen.
P.S. Gern möchte ich noch auf die Kritik von Jonas Rybak an der arte-Sendung hinweisen, der einige Falschaussagen sehr pointiert richtigstellt. https://www.youtube.com/watch?v=bo_yiTBr6l4
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[1] In: Das Leben des Menschen und der Erde, 3.3.1923, GA 349, S. 63. Es ist zu beachten, dass sich Rudolf Steiner in den sogenannten Arbeiter-Vorträgen, deren Themen spontan von den Arbeitern am Goetheanum vorgeschlagen wurden, auf die Denk- und Ausdrucksweise seiner Zuhörer einstellte.
[2] Theosophie und Sozialismus, Nov. 1903, GA 34, S. 433.
[3] In: Die Welträtsel und die Anthroposophie, 12.10.1905, GA 54, S. 53.
[4] In: Der irdische und der kosmische Mensch, 20.6.1912, GA 133, S. 151-153.
[5] Viele Zitate Rudolf Steiners gegen jede Form von Rassismus finden sich bei Lorenzo Ravagli unter https://anthroblog.anthroweb.info/geschichte-der-anthroposophie-im-20-jahrhundert/die-ueberwindung-des-rassismus-durch-die-anthroposophie/
[6] Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit Zanders vielfältigen Unwahrheiten über Rudolf Steiner und die Anthroposophie siehe https://web.archive.org/web/20241014000213/https://www.zander-zitiert.de/startseite/.
Ich habe mir den Film, angeschaut. Die Absichten der Macher können klar erfasst werden, wenn der Zuschauer das will. Wer kein Interesse, positives Interesse an Rudolf Steiner als Mensch hat, wird auch nicht wirklich hinhören. Das gilt auch für solche Richtigstellungen. Da ich eine positive Einstellung zu R. Steiners Werk und Person habe, wird diese auch nicht gefährdet durch solche Filme. Ansgar Martins ist ein Beispiel für Menschen, die sich einer Sache "widmen", ohne wirkliches, vom Herzen ausgehendes Interesse. Er ist verletzt ( Waldorschul-Trauma?) und verletzt deshalb selber. Bedauerlich.
Jemand der wirklich wissen will, ob R. Steiner ein "Rassist" war, weil er "rassistische Begriffe" in einem gewissen Kontext verwendet hat, kann sich schnell davon überzeugen, dass dem nicht so ist.…
Ein wirklich vortrefflicher und wichtiger Beitrag, denn solche Insinuationen wie diese über Steiners Antisemintismus und Rassismus können bei einem, der Steiners Leben und Werk nicht gut kennt, Skepsis hervorrufen. Danke. Ich freue mich auf weitere Beiträge.
Vielen Dank für die differenzierte Richtigstellung gerade zu den immer wieder gerne getätigten Angriffen bezüglich vermeintlich rassistischen Aussagen Rudolf Steiners.
Jeder Mensch, der sich ernsthaft für den Menschen Rudolf Steiner und/oder die Anthroposophie interessieren und die Schriften lesen würde, könnte zu keinem anderen Schlusse als dem, es mit einem großen Menschenliebhaber und Fürsorger zu tun zu haben kommen, der sein Leben dem Wohle der Menschheit und vielen vielen Einzelnen widmete - in Selbstlosigkeit.