top of page

Erfreuliches und Unerfreuliches zum Steiner-Jubiläum (Teil I)

Schlossplatz Stuttgart, 30. März 2025
Schlossplatz Stuttgart, 30. März 2025

Das Jubiläums-Festival der AGiD auf dem Stuttgarter Schlossplatz


Es waren drei sonnige Tage am Stuttgarter Schlossplatz, die die anthroposophische Bewegung in Deutschland und die Tausende von Menschen, die zu diesem herausragenden Ereignis  anlässlich des 100. Todestages von Rudolf Steiner gekommen waren, noch lange in Erinnerung behalten werden. Denn dank der Initiative der beiden AGiD Geschäftsführer Sebastian Knust und Matthias Niedermann und ihrer sechs Vorstandskollegen[1] fand vom 28.-30. März ein dreitägiges Festival unter Beteiligung von hunderten von Mitwirkenden auf dem Stuttgarter Schlossplatz statt.[2]


Drei Tage lang hatten die Besucherinnen und Besucher die Gelegenheit, die Anthroposophie Rudolf Steiners und die anthroposophische Bewegung in allen ihren Facetten kennenzulernen. In über 20 Festzelten fanden Präsentationen, Diskussionen, Lesungen, religiöse Andachten, Gottesdienste, künstlerische Aufführungen und Workshops zu Meditation, Eurythmie und vielem anderen statt und auch an künstlerisch-spielerische Angebote für die Kinder wurde natürlich gedacht. Alle praktischen Lebensfelder der anthroposophischen Bewegung, die Waldorfkindergarten- und Waldorfschulpädagogik, die anthroposophische Medizin, die Heilpädagogik und Sozialtherapie, die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Wasserströmungsforschung, die anthroposophischen Buchverlage u.v.a.m. waren in den Festzelten präsent und wurden permanent vom interessierten Publikum umringt. Auch die kulinarischen Genüsse aus dem Demeter-Bereich durften natürlich nicht fehlen.


Im Zentrum stand die Kulturbühne, auf der ein durchgehend künstlerisches Programm sowie mehrere prominent besetzte Podiumsgespräche stattfanden. Visuelle Eindrücke davon können hier eingesehen werden.[3] Rudolf Steiner selbst war durch eine durchgehende Lesung seiner Texte und Vorträge in einem eigens dafür eingerichteten Lesezelt präsent. Es war beeindruckend, die von mehreren Sprechern vorgetragenen Texte in diesem Festivalambiente hören zu können, denn auch für den Insider waren hier manche noch wenig bekannte Perlen zu entdecken.


Die Akanthos-Akademie war durch Christoph Hueck und seine beiden stark besuchten Meditationsworkshops ebenfalls vertreten. Der Verfasser selbst hatte Gelegenheit, sein neues Buch[4] zu präsentieren und dabei zahllose Gespräche mit einzelnen Besucherinnen und Besuchern zu führen.


Zusammengefasst kann man sagen, dass dieses Festival Rudolf Steiner in einer bisher wohl noch nie dagewesenen Weise und erfreulich öffentlichkeitswirksam gewürdigt hat.[5]


Jubiläums-Medienrundschau Teil 1: Erfreuliches


In der anthroposophischen Szene ist man seit der Corona-Krise, was das Medienecho betrifft, an so Einiges gewöhnt. Manches an Negativem, das wir in der Corona-Zeit erleben mussten, schien sich zum 100. Todestag Rudolf Steiners zu wiederholen. Darüber werden wir im zweiten Teil dieses Beitrages noch berichten. Erfreulich aber war, dass es in der Medienlandschaft auch Anderes und Überraschendes gab. Davon soll im Folgenden die Rede sein.


Als erstes ist da überraschenderweise die FAZ zu erwähnen, die in ihrer Sonntagsausgabe einen Gastbeitrag  von Tina Hartmann, Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Bayreuth gebracht hat. Hartmann ist, wie die meisten der Autorinnen und Autoren, die sich zum Steiner-Jubiläum geäußert haben, ehemalige Waldorfschülerin, aber eben eine mit positiven Erfahrungen, über die sie in ihrem Beitrag zur Würdigung Rudolf Steiners und der Waldorfpädagogik ausführlich schreibt:[6]

Waldorfschulen erleben hierzulande kritischere Berichterstattung als andere. Während der Pandemie galt Waldorf automatisch als Hochburg der Impf- und Maskenverweigerung und gilt grundsätzlich als Hort besserverdienender akademischer Eltern, deren Kinder ihren Namen tanzen. Selten erwähnt wird, dass das aus der Finanzierungslücke zwischen der staatlichen Förderung für anerkannte Ersatzschulen und den tatsächlichen Kosten resultierende Schulgeld von etwa 250 Euro an Waldorfschulen nach dem Solidaritätsprinzip geregelt ist. Familien mit geringem Einkommen zahlen weniger oder nichts, andere übernehmen mehrfache Sätze. … Die Autorin dieser Zeilen hat die Waldorfschule als Ort der Bildungsgerechtigkeit erfahren. Als Arbeiterkind mit bis zur Mittelstufe bestenfalls unauffälligem Leistungsniveau und Eltern mit niedrigsten Schulabschlüssen wurde ich nicht nur zum Abitur geführt, sondern auch darin bestärkt, dass ein geisteswissenschaftliches Studium „das Richtige“ ist. Studiert hat auch der Junge, der in der achten Klasse als „Asylbewerber“ mit wenigen Sätzen Deutsch in unsere Klasse kam, da sein ungeklärter Aufenthaltsstatus den Besuch einer staatlichen Schule nicht erlaubte. … Pragmatischer Antirassismus gehört seit Jahrzehnten zum Markenkern der Waldorfpädagogik. In meiner Klasse war der unangefochtene Star die schwarze Tochter einer alleinerziehenden nicht akademischen Mutter – was in der bundesrepublikanischen Realität der Achtziger- und Neunzigerjahre eher die Ausnahme gewesen sein dürfte. Sie ist heute Ärztin. … Nach etwas mehr als hundert Jahren bietet die Waldorfpädagogik Antworten auf einige der drängendsten Fragen unserer Gegenwart. Zu ihnen gehören neben dem ganzheitlichen Blick auf unsere Umwelt die Bildungs- und Geschlechtergerechtigkeit sowie die Inklusion auf der Basis einer Erziehung, die die Fähigkeiten eines jeden Individuums wertschätzt.

Hut ab vor dieser wirklich staunenswerten Eloge!


Aber schon in der Woche vor dem Jubiläum am 30. März konnte man staunen, nämlich über das der SPD mit 23,1% gehörende „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND), das über mehr als 60 Tageszeitungen in Deutschland verfügt.[7] In über 20 dieser Zeitungen war seit dem 24.3. ein Beitrag von Imre Grimm, ebenfalls ein ehemaliger Waldorfschüler mit positiven Erfahrungen, zu lesen.[8] Unter dem Titel „Rudolf Steiner: Wer war der Mann von drüben?“ schrieb er unter anderem:

„…auch ich war Waldorfschüler. 13 Jahre lang. Meine Schule, auf Außenstehende so irritierend wie ein weltanschaulich verwirrtes Wikingerdorf, war für mich genau richtig. … Es war die erste koedukative Gesamtschule. Sie soll Kinder „zur Freiheit erziehen“, sie an sich selbst messen. Das ist der Anspruch. Lehrer und Erzieher seien „nur die Umgebung des sich selbst erziehenden Kindes“, schrieb Steiner. Eine revolutionäre Idee, damals wie heute.

Weiterhin schreibt Grimm über Rudolf Steiner:

Steiner hatte in einer Zeit, die sich in einem genauso fundamentalen Umbruch befand wie die heutige, ein verlockendes Angebot zu machen: Er lieferte einer Gesellschaft, die sich in der Blütezeit der Hellseherei milde gruselnd dem Unterbewussten zu nähern begann und sich schaudernd zu Séancen traf, einen neuen Schlüssel zur Gegenwart. Er entwickelte in mehr als 6000 Vorträgen und unzähligen Büchern nicht weniger als eine alternative Lesart der Welt. Der Kern seiner „Anthroposophie“, der „Weisheit vom Menschen“: Die moderne Gesellschaft habe, geprägt vom Geist der Aufklärung und den materieorientierten Mechanismen der Industriegesellschaft, die Fähigkeit verloren, die unsichtbaren Elemente der Welt zur Kenntnis zu nehmen. Die Welt sei in der Neuzeit – Steiner spricht vom „Bewusstseinsseelenzeitalter“ – also durch eine Art Entgöttlichung aus dem Lot geraten, während sie „immer weiter in die furchtbare Wüste des Materialismus hineineilt“, wie Christian Morgenstern schrieb, auch er ein Bewunderer.

Im Weiteren zitiert er dann ausführlich die soeben erschienene Steiner-Biographie des ehemaligen NDR-Journalisten und Anthroposophen Wolfgang Müller, „Das Rätsel Rudolf Steiner"[9], während die übrigen Rezensenten, auf die wir im 2. Teil noch zu sprechen kommen werden, überwiegend und fast ausschließlich die selbst ernannten „Steiner-Experten“ Helmut Zander und Ansgar Martins zu Wort kommen ließen.


Imre Grimm schreibt nicht unkritisch, aber eben auch nicht gehässig, sondern anerkennend über Rudolf Steiner und die Waldorfpädagogik, und das in einem zur SPD gehörenden Netzwerk von über 20 Tageszeitungen in ganz Deutschland, vor allem aber auch in Ostdeutschland. So fand der Berichterstatter diesen Artikel zum Beispiel in den „Dresdner Neuen Nachrichten“. Wirklich erfreulich!


Ebenso erfreulich das Kunstmagazin „Metropol“, in dem unter dem Titel „Eine Hardware angewandter Anthroposophie“  ebenfalls ein Rudolf Steiner und sein architektonisches Werk würdigender Beitrag erschienen ist.[10] Und last but noch least die konservative und unabhängige Wochenzeitung „Junge Freiheit"[11]. Auch dieser Beitrag, verfasst von Fabian Schmidt-Ahmad, zitiert fast ausschließlich die oben bereits erwähnte neue Steiner-Biographie von Wolfgang Müller, aber auch eine Schrift über Rudolf Steiners Ideen zur Wirtschaft aus den 30er Jahren, in der die Idee der sozialen Dreigliederung und Steiners Vorstellungen über einen anderen Umgang mit Geld ausführlich dargelegt werden.[12] So kommt diese überwiegend von jungen Autoren gestaltete Zeitung zu dem Fazit:

„Wer bei diesem wichtigen Aspekt in Steiners Werk (der Wirtschaftswissenschaft, Anm. d. Verf.) auf Sekundärliteratur zugreifen will, wird bei Müller nicht fündig. Zu empfehlen ist hier die Einführung von Bernhard Behrens aus den 1930er Jahren, die verdienstvollerweise kürzlich von Ralf Neff und Manfred Kannenberg neu herausgegeben wurde. Behrens, der später in die USA emigrierte, dort zeitweilig interniert wurde und nach dem Krieg die anthroposophische Bewegung in Hamburg neu aufbaute, versucht hier einen Brückenschluss zur Wirtschaftswissenschaft seiner Zeit zu schlagen. Das macht es Lesern einfacher, einen Zugang zu finden, die zwar in der gängigen ökonomischen Begriffswelt zu Hause sind, aber vor Steiners Originaltexten kapitulieren.


Nach hundert Jahren umfasst die von der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung in der Schweiz herausgegebene Gesamtausgabe mittlerweile fast vierhundert Bücher. Ein unerschöpflicher Steinbruch für jeden Befürworter wie Gegner der Anthroposophie, die sich die passenden Sätze herausklauben können. Unüberschaubar die Fülle an weiterer Sekundärliteratur, zu der Müller einen wichtigen allgemeinverständlichen Beitrag geleistet hat. Und wer sich nicht abschrecken lassen will, der kann sich auch die Texte zur Gänze zu Gemüte führen, die Steiner selbst für eine Veröffentlichung vorsah. Wenn er verzweifelt, kann er sich trösten. Es sind in diesen hundert Jahren noch ganz andere vor ihm gescheitert.“


Im zweiten Teil dieses Beitrages zum Medienecho anlässlich des 100. Todestages Rudolf Steiners werden wir dann auf die weniger erfreulichen Medien zu sprechen kommen.


_________________

[2] Das umfangreiche Programm sowie zahlreiche Fotos können hier eingesehen werden: https://www.2025-steiner-stuttgart.de/programm/

[5] Weitere Informationen zum Steiner-Jubiläum und den dazu gehörigen Veranstaltungen finden Sie hier:  https://www.anthroposophie.de/festjahr-events/ Eine umfangreiche Informations-Webseite zu Rudolf Steiner und zur Anthroposophie ist hier zu finden: https://www.anthroposophie.de/

 
 
 

1 Comment


Nikanor Soter
Apr 03

Es ist erstaunlich, immer wieder zu lesen, Steiners Texte seien schwer verständlich. Das sagt mehr über die geistige Kapazität heutiger Intellektueller aus als über Steiner.

Für mich gehört Steiner zu den verständlichsten und präzisesten Autoren auf kulturellem Gebiet. Zugegeben, eine gewisse innere Anstrengung gehört dazu. Das ist bei Goethes Faust, Schillers Über die ästhetische Erziehung des Menschen oder Lessings Die Erziehung des Menschengeschlechts nicht anders. Etwas mehr als beim Smartphone-Daddeln darf man doch erwarten.

Like
bottom of page